Die letzten Wochen in Orissa waren
spannend. Wir leben zur Zeit in einem District, in den keine Ausländer mehr einreisen
dürfen, und für den im Moment keine Visa ausgestellt werden. Wir dürfen nicht
mehr auf die Dörfer fahren. Wir sollten nicht mehr alleine nach Semiliguda
fahren. Wir sind auf dem Campus. Es blitzt und donnert, und regnet zur Zeit oft
im Koraput District. Immer nach dem Mittagessen. Dann fällt auch der Strom aus.
Heute soll er gar nicht mehr wiederkommen.
Die Maoisten haben im März zwei Italiener
entführt, die in einer Gegend, in der viele Adivasis leben, eine Trekkingtour
veranstaltet haben. Die beiden sind inzwischen wieder auf freiem Fuß. Sie haben
in der Zeit mit den Maoisten ordentlich abgenommen. Es gab da eben nur Reis und
Dhal, ansonsten ist denen wohl aber nicht viel passiert. Für die beiden konnten
die Maoisten die Frau eines Anführers freipressen. Zeitgleich wurde ein junger
Politiker in unserer Nähe entführt. Er ist immer noch gefangen, für ihn konnten
die Maoisten 13 Gefangene freipressen.
In der selben Zeit hat bei uns die Polizei
vorbeigeschaut. Ein Herr ist mit dem Motorrad zu uns gefahren, um zu melden, ob
wir Deutschen tatsächlich (noch) da sind. Die Meldung machte der Herr dann beim
Polizeichef von Koraput, der uns am Telefon nochmal erklärt hat, dass wir nicht
in die Dörfer fahren dürfen. Der Motorradmann hat kaum mit uns gesprochen. Er
kam, sah uns, gab uns das Handy, und fuhr mit dem Handy wieder ab. Das ist
schade, dass wir nicht in die Dörfer fahren dürfen.
Es ist eine eigenartige Situation.
Letzte Woche war hier ein dreitägiger
Workshop eines Klimaschutznetzwerks, das Jugendliche motivieren möchte, sich
für den Klimaschutz zu engagieren. Die Teilnehmer kamen aus ganz Indien. Und
ich versuchte eines Abends, eine freiberufliche Copywriterin und einen
Kastastrophenmanagement-Studenten dazu zu überreden eine Dokumentation von Werner
Herzog mit uns zu schauen. Die Idee einen Film zu schauen hatten die beiden,
aber die Kopie des Filmes, den sie zeigen wollten, war einfach zu schlecht. Abgefilmt
von der Leinwand.
Es ist eine Herausforderung, Menschen nachts für eine Dokumentation über Forscher in der Antarktis zu überzeugen. Nach einer halben Stunde Abneigung konnte ich die Copywriterin für den Film gewinnen, da sie Werner Herzog tatsächlich kannte, nur mit der Deutschen Aussprache nichts anfangen konnte.
Es ist eine Herausforderung, Menschen nachts für eine Dokumentation über Forscher in der Antarktis zu überzeugen. Nach einer halben Stunde Abneigung konnte ich die Copywriterin für den Film gewinnen, da sie Werner Herzog tatsächlich kannte, nur mit der Deutschen Aussprache nichts anfangen konnte.
Wir schauten den Film und einige Male kamen
Leute dazu, die auch Lust auf einen Film hatten. Nach der Erkenntnis, dass eine
Dokumentation geguckt wird, sind sie schnell wieder verschwunden. Wenn man
alleine einen Film schauen möchte, hat man mit dem Weg allen zu sagen, man
schaue eine Dokumentation, anscheinend eine gute Chance.
Zwei Drittel des Films haben wir geschafft, danach war auch mit der Copywriterin und dem Kastastrophenmanagementstudenten Schluss, nachts um zwei. Sie waren müde, mussten am nächsten Tag um fünf aufstehen.
Zwei Drittel des Films haben wir geschafft, danach war auch mit der Copywriterin und dem Kastastrophenmanagementstudenten Schluss, nachts um zwei. Sie waren müde, mussten am nächsten Tag um fünf aufstehen.
Der Workshop hat uns weitere
Besuchseinladungen beschert. Nach Mumbai, nach Bangalore und nach Udaipur.
Wir haben Ostern jemanden besucht. Einen
NRI (Non-resident Indian), der seine Familie in Indien besucht hat. Er ist
schon vor vielen Jahren ausgewandert, und kam seit vier Jahren das erste Mal
wieder in seine Stadt. Wir drei haben ihn kennengelernt, bevor wir nach Indien
flogen, und so war es schön und verdammt komisch ihn hier in Indien zu treffen.
Wenn man mit ihm durch seine Stadt geht, halten Autos an. „Hey Mann, du bist
wieder da!“ Er ist bekannt in seiner Stadt. Er ist bekannt, weil er, als er so
alt war wie wir jetzt, in den Westen ausgewandert ist. Das wünschen sich viele
Jugendliche im Koraput District. „I want to go your German.“, wurde mir schon
oft gesagt.
Er hat eine schwierige Rolle. Der nächste
Satz nach „Hey Mann, du bist wieder da!“ war einige Male „You look like a
foreigner now...You don’t speak like us...“ Er musste sich auf Indien genauso
umstellen, wie wir, und hat das noch deutlicher umgesetzt. Er aß die ersten
Tage nur Reis mit gekochtem Gemüse, kein Dal, keine Currys. Und er trank keinen
Chai.
Eine Umstellung war es auch für seine
Familie. Sie mussten ihr vier Jahre altes Bild von ihm durch den Sohn und
Bruder im Jahr 2012 ersetzen.
Ich bin ihm sehr dankbar, dass wir Ostern
mit seiner Familie und ihm feiern durften.
Bevor er auswanderte, gründete er eine
Trompetergruppe, in die er besonders Jungs aus ärmeren Verhältnissen holte,
viele davon Dalits (Unantastbare). Es war normal, dass ihr Platz in der Kirche
die letzte Reihe war. In der Trompetengruppe zeigte er ihnen, dass sie vor
allen Leuten stehen können, mit der Trompete.
Diese Gruppe macht jeden Ostersonntag eine
Rallye durch die Stadt, bevor die Sonne aufgeht. Darauf war der Trompetengruppengründer
schon ganz heiß. Er erzählte davon, wie groß die Rallye vor zehn Jahren war.
Die Jungs haben richtig krach gemacht.
Am Ostersonntag standen wir um 3 Uhr
morgens auf. Der Wecker war auf drei gestellt, aufgestanden sind wir dann um
kurz vor vier. Im Halbschlaf reckte ich mich und fasste voll in den
Deckerventilator. Das war laut und gab mir Schmerzen. Der Schlaf war vorbei.
Irgendwie hatte es ein Hahn durch das Fenster geschafft. Es ist laut, wenn ein
Hahn einem ins Ohr kräht. Er musste noch am selben Tag sterben. Er wurde
geschlachtet, er war zu laut.
Auf den Straßen der Stadt war von der
Trompetengruppe weit und breit nichts zu sehen. Wir liefen durch die Stadt,
tranken einen Chai (er nahm keinen), an dem er schon vor zehn Jahren Kunde war.
Er zeigte uns Geschäfte, die er noch von früher kannte, seinen früheren
Friseur, sein altes College und erzählte uns von Bandenkriegen zwischen den
Studenten der Wissenschaft und denen der Geisteswissenschaften. Er war auf der
Seite der Wissenschaft.
Als wir an der Hauptstraße entlang gingen,
kam ein Laster entgegen, auf seiner Ladefläche ein paar Leute mit Trompete. Sie
fuhren an uns vorbei mit 40 km/h. Das war die Rallye, und der Anfang eines
vollen, langen Tages. Ostern wird in Indien anders gefeiert, als in
Deutschland.
Während in Deutschland die Kinder nach
Überraschungen und Ostereiern suchen, wird unter den indischen Christen den
Toten gedacht. Osterhasen gibt es hier keine. Die Menschen kommen am Morgen zum
Friedhof, dort gibt es einen Gottesdienst, und jedes Grab wird mit
Räucherstäbchen, Blumen und vielen Kerzen bedacht. Wir waren auch dort, und
gedachten eines Familienmitglieds. Die Familie hatte ein Auto gemietet, und wir
besuchten an dem Tag drei Friedhöfe und viele Dörfer, in denen Verwandte wohnten.
Im Geburtsdorf des Auswanderers gab es Frühstück und er zeigte uns im Haus
seiner Familie die exakte Stelle, an der er geboren wurde. Ich könnte nur auf
einen Krankenhauskomplex verweisen. Wir begegneten vielen Mitgliedern seiner
Familie, er erfuhr, dass er neue Neffen hat, und es gab überall reichlich zu
essen. In einem Dorf haben wir ein Mangoerntedankfest gefeiert, Ostern ist der
Beginn der Mangosaison. Es wurde ein großer Teller mit gewürfelten Mangos
vorbereitet, und sein Schwager sprach ein Dankesgebet. Die Würfel waren
gezuckert, die Mangos noch sauer und grün. In früheren Jahren waren sie zu
Ostern schon süß. Saure Mangos sind auch lecker, man isst sie hier mit Zucker,
Salz und Chilipulver.
Auf den Fahrten zwischen den Dörfern hörten
wir unglaubliche Musik, die der engagierte Fahrer eingeschmissen hatte. Teils
waren es Bollywoodsongs, die wir kannten, in einem Song, den ich nicht mehr
vergesse, krähte ununterbrochen ein Hahn zu einem grauenhaften Technobeat. Der
Hahn variierte seine Geschwindigkeit und zusammen mit dem Beat sorgte er für
grandiose Unterhaltung. Die große Schwester des jungen Mannes, der uns seine
Familie zeigte, bekam davon Kopfschmerzen. Das Mittagessen war eine große
Sache, für die ein Koch engagiert wurde. Alle saßen zusammen und redeten. Wenn
wir zum nächsten Dorf fuhren, war es immer witzig, wie der Schwager die Natur
bestaunte und filmte. Für die anderen waren die Hügel und Reisfelder und
Reisfelderhügel völlig normal, doch ihn brachte der Ausblick zum Staunen.
„Woah, look at the scenery!“
Manche Male dauerte unser Besuch zehn
Minuten, manchmal mehr als zwei Stunden.
Ein Gruppenfoto wurde fast immer gemacht,
und Kekse wurden bei jedem Besuch angeboten. Zu unserem letzten Besuch kam ein
starker Sturm auf, der Strom fiel aus, was eigentlich nichts Besonderes ist,
allerdings dazu führte, dass alle zusammen in einem kleinen Raum bei
Kerzenlicht zusammen saßen. Der Sturm führte dazu, dass unser Jeep auf dem
Rückweg an einem Flusshang hängenblieb, und im Regen und Matsch hochgeschoben
wurde.
Als wir wieder bei der Familie ankamen,
wurde nochmal das Hahnlied angemacht, und der Hahn, der morgens so genervt hat,
in essbare Portionen geteilt und gebraten. Ich hab davon nichts genommen. Ich
bin es nicht gewohnt, Lebewesen zu essen, deren persönliche Eigenschaften ich
kannte.
Hallo Freddy,
AntwortenLöschenoh man, das ist blöd, dass Ihr jetzt festhängt :-( Hoffe, das ändert sich bald wieder. Passt bloß schön auf Euch auf und haltet die Ohren steif, gell!! Und für die Zwischenzeit was zu lachen (ist schon etwas älter, aber ich hoffe, Du kennst es nocht nicht):
http://www.youtube.com/watch?v=Rsvu5Sz8bTw
Liebe Grüße aus dem verregneten Hamburg,
Nicole
Hey Nicole,
Löschenwir passen auf und auf uns wird ziemlich aufgepasst. ;) Die Situation hat sich schon wieder entspannt, zumindest für uns. Das Video gucke ich mir an, wenn mal wieder schnelles Internet habe. ;)
Hier regnet es jeden Nachmittag. Mit irren Gewittern und Wetterleuchten und tollen Wolken.
Liebe Grüße aus dem Pfeffer-Land
Freddy
Wow muss ein tolles Ostern gewesen sein. Den Toten zu gedenken passt für mich viel besser zu Ostern als die ganze Kommerz-Schose im Westen. Ich hoffe, ich kann hier die Menschen so nah erleben, wie ihr das macht. Die Thais sind im Moment noch sehr auf Distanz zu mir, nehmen mich zwar mit, lassen mich dann aber nicht so richtig Teilhaben, was auch ein Sprachproblem ist.
AntwortenLöschenIch hab letztens per Zufall ne Arte-Reportage über die Maoisten in Indien gesehen. Schwer bewaffnet und indoktriniert etcpp. Wie nehmt ihr die denn wahr? Dass ihr jetzt nicht mehr raus, bzw. wieder rein könnt ist doch seltsam, wo ihr jetzt schon über ein halbes Jahr da seid. Gibt's da auch keine Sondierung zwischen "Freund" und "Feind"?
Liebe Grüße aus Thailand!
Leo
Schön, dass du schreibst. Die Maoisten nehmen nur so war, als das wegen ihnen unsere Bewegung und Arbeit eingeschränkt wurde. Kennengelernt haben wir sie selbst nie. Einmal glaube ich welche gesehen zu haben. In weiter Entfernung. Wir hören viele Geschichten über sie. Dass sie gut sind, dass sie schlecht sind. Es war ein komisches Gefühl, vor einer Gefahr geschützt zu werden, die man überhaupt nicht kennt und nicht spürt. Da fühlt man sich eingesperrt. Aber in der Zeit war das vernünftig. Da war hier wohl viel los. Von der Arte-Doku habe ich gehört, kann ich hier mit dem Internet nicht gucken. Falls du dich dafür noch interessierst, solltest du diesen Artikel lesen. Geschrieben von einer Autorin, die eine Zeit mit den Maoisten verbringen konnte.
Löschenwww.outlookindia.com/article.aspx?264738
Ich hoffe, dass das zwischen euch auftaut. Du bist ja erst seit kurzer Zeit da. Die freuen sich bestimmt, sich dir zu zeigen.
Liebe Grüße aus Semiliguda
Freddy
Hey Freddi!
AntwortenLöschenWar schoen deinen Blog zu lesen, hat spass gemacht. Mein blog ist ziemlich inaktiv geworden...:) Hab neulich mit Mimi telefoniert, sie meinte du willst noch n Gapyear und Praktika machen? waer cool, wenn du mal anrufen wuerdest, dein Handy funktioniert ja iwie nicht :) Oder hast du ne neue nummer?
Alles Liebe, hoffe euch gehts gut!
Gabriel