Seit dem dreißigsten Tag des Monats Januar bin ich auf Reisen. Heute geht’s ab nach Delhi, die letzten Tage war ich in Varanasi. Andere Namen sind Benares, Banaras oder Kashi – Stadt des göttlichen Lichts.
In den diversen Reiseführern, die ich durchblättert habe, steht, dass es längst nicht jeder Tourist nach Varanasi schafft. Es gäbe dort die härtesten Bettler und die gerissensten Schwindler. Das habe ich nicht so erlebt. Hier wimmelt es von Touristen. Die meisten kommen aus Frankreich und Süd-Ost-Asien. Diese ganzen Leute, und ich auch, kommen alle hierher um die heiligste Stadt aller Hindus zu sehen, gelegen am heiligen Fluss des Ganges. Jetzt ist es acht Uhr morgens, und vorhin, um sechs, sind meine deutschen Freunde und ich mit einem Boot über den Ganges gefahren.
Wir haben gesehen, wie die Sonne aufgeht, wie Kinder Lach-Yoga am Ufer machen.
Den ganzen Tag über waschen sich die Bürger von Varanasi im Ganges, auch um sechs Uhr morgens.
Sie beten zu Mutter Ganges. Manche bleiben eine Zeit im Wasser, andere tauchen einmal kurz ein, um dann gleich wieder raus zu springen. Hier ist es morgens noch ein bisschen kalt. Die Frauen baden in ihren Saris.
Wunderschön fand ich hier in Varanasi die Ghats, Ufertreppen die direkt zum Ganges führen. Sie prägen das Stadtbild von Varanasi, man findet sie überall wo Ganges ist, hier verbringen viele Einwohner ihre Freizeit. Kinder spielen Cricket, und lassen Drachen steigen, ältere Gesellen tratschen bis in die Nacht, oder spielen Karten.
Menschen, die hier nicht ihre Freizeit verbringen, sondern arbeiten, verdienen ihr Geld mit dem penetranten Anbieten von Bootsfahrten. Ein „You want boat?“ für alle zehn Meter, die man geht. Die schnellere Variante „Boat?“ kriegt man jeden fünften Meter zu hören, den man am Gangesufer zurücklegt. Das mag sensationell anstrengend klingen, aber man gewöhnt sich dran. Auch in Varanasi, der Stadt in der es laut Reiseführer die schlimmsten Betrüger gibt, sind die meisten Menschen verdammt nett. Die netten Bootsangebote erinnern mich sehr an das venezianische „Gondola?“
Auch sonst erinnert mich die Stadt etwas an die Venedig. Wenn man die Stufen der Ghats hochsteigt (sie sind so groß, ich müsste an dieser Stelle eigentlich „klettern“ schreiben, um meine sportsmännische Leistung korrekt zu schildern), gelangt man in ein Labyrinth aus engen, engen Gassen. Hier, wie in der ganzen Stadt, findet man überall kleine Schreine und Tempel. Ich bin mir sicher, unter ihnen gibt es keinen, der nicht täglich angebetet wird.
Immer wieder spannend in den Gassen ist es, wenn mal wieder jemand auf die Idee kommt, sich mit 30 Stundenkilometern auf dem Motorrad durch sie zu bewegen. Das klappt immer so gerade eben. Dass es gerade eben nicht klappt, habe ich hier noch nie erlebt. Durch die Kurven schlittert man am besten, Touristen und anderes Fußvolk hupt man weg, bei Kühen muss man Geduld haben.
Wer sich für die indische Fauna interessiert, wird in dieser Stadt seine Freude haben. Hier gibt es unglaublich viele Parwiane, Hunde, so einige Wasserbüffel und selbstverständlich Kühe. Affen sieht man den ganzen Tag über. In unserem Hotel wurden wir schon gewarnt, dass wir auf unsere Sachen aufpassen müssen, wenn wir auf die Dachterrasse gehen, die klauen, die Fellbrüder. Unsere Dachterrasse ist echt nicht schlecht, man sieht die ganze Stadt und guckt direkt auf den Ganges.
Wenn wir da abends sitzen, werden wir jedes Mal wieder Zeuge des allabendlichen Machtwechsels, die Nacht gehört den Hunden, die bellend und heulend über die Ghats laufen.
Dieses Land und seine Menschen überwältigen mich immer wieder. Neulich sind wir völlig planlos zur Universität von Benares gelaufen, die einen guten Ruf im ganzen Land genießt. Wir kannten den Weg nicht wirklich, haben danach dauernd nachgefragt, und als wir ankamen wussten wir gar nicht, was wir dort eigentlich wollten.
Das Geländer ist riesig und ich dachte mir, vielleicht ist es klug nach dem Hauptgebäude zu fragen. Die ersten, die ich ansprach, hörten Musik und gingen weiter. Die junge Frau, deren Blick ich danach suchte, nahm mich gleich mit. Sie hat nicht ganz verstanden, was ich wollte, oder woher ich kam. Und ihren Namen habe ich leider auch schon wieder vergessen und sie meinen wohl auch, aber ich fand es verdammt klasse, dass sie uns einfach mal spontan in das Performing Arts Department einlädt, indem sie klassischen Gesang studiert.
Die Universität ist hinduistisch, das bedeutet, dass am Eingang von jedem Department ein Gott steht, den man als Student anbeten sollte, bevor man die Fakultät betritt.
So tat es die junge Frau dann auch.
Ich wurde ihrem Lehrer vorgestellt. Wenn man in Indien irgendeinen Raum betritt, zieht man sich vorher die Schuhe aus. So tat ich es dann auch. Neben die Schuhe stellte ich meine neugekauften Bücher, was der jungen Frau einen Schreck bescherte, den ich interessant finde. Eines der Bücher in der leicht transparenten Plastiktüte war die Gita. Ein wichtiges Werk im Hinduismus. „Oh my God! This is god himself, don’t put it on the ground! Ah, but don’t mind, you didn’t know.“
Nach diesem kleinen Augenblick einer interessanten Peinlichkeit setzte sie uns in eine kleine Klasse, in der gerade geübt wurde. Das war toll. Es war das erste Mal, dass ich eine echte Sithar hörte. Der Tabla- (Trommel-) spieler war unglaublich und der Sänger singt jeden Abend auf der größten Aarti von Varanasi, einer Zeremonie an den Ganges am Ganges. Er hat uns dann geraten, am Abend in ein bestimmtes Hotel zu gehen, wenn wir ein richtig gutes Konzert hören wollen. So kam es dann auch, es war unglaublich.
Es hatte etwas von den Montessori-Traumreisen, zu denen ich in meiner Grundschule gezwungen wurde. Mit dem Unterschied, dass ich diesmal dafür zahlte und ich von der Musik wirklich mitgenommen wurde. Das war schön. Ich finde es interessant, wie Klänge das Bewusstsein beeinflussen können. Und das Publikum war abgefahren. Man trifft hier immer wieder interessante Menschen. Einer sagte mir mit lustig-indischem Akzent „Ich mag dich.“ Ein anderer sah sich wenige Tage vor der Verlobung mit einer Frau, die er noch nie gesehen hatte. Er kannte nur das Foto, ich dann auch, und wir waren uns einig, die Dame sah gut aus. Der war verdammt nervös, der junge Mann. Vielleicht treffen wir ihn in Jaipur. Dann reden wir über die Verlobung.
Ich gehe jetzt Frühstücken. Heute mal israelisch. In diesen Touristenvierteln ist es teilweise schwer etwas Indisches zu finden. Hier gibt es überall Spanisches, Japanisches, Koreanisches und Israelisches. Und eine deutsche Bäckerei gibt es hier auch, für die allerdings eigenartig viel Werbung gemacht wird. An jedem Ghat steht „German Bakery“.
Da gehen wir heute Mittag mal hin.
Namastee!
Ich habe übrigens Komplimente für meine Bengalisch-Kenntnisse bekommen. Fand ich nett, auch wenn das Oriya war. Der Mann fühlte sich an die Heimat seiner Großeltern erinnert, die kommen aus Kolkata.