Freitag, 23. Dezember 2011

3 Tage Bissamcuttack, 3 Tage Kalkutta, 53 Stunden Bahnfahrt: Teil 3 – Kolkata, und in 24 Stunden wieder zurück nach Hause

Unsere Zeit in Kolkata ist schon wieder eine gewisse Zeit her, und gerade deswegen möchte ich euch noch ein bisschen davon erzählen.
An einem Tag schlenderten wir ein bisschen durch die Stadt, über den Blumenmarkt zum Ufer des Flusses Hoogli.
Der Hoogli ist ein Arm des Ganges, und deswegen ist auch sein Wasser heilig für die Hindus. Am Ghat (Ufertreppe), von dem aus viele Menschen im Fluss baden, leben ein paar Sadhus. Unser deutscher Freund hat sie in seiner Zeit in Kolkata kennengelernt, und wir beschlossen, ihnen spontan einen Besuch zu bestatten. Weiterlesen!


Sadhus

Sadhus sind Menschen, die sich dem Hinduismus total aufgeben, ihr Leben mit Meditation und dem Studien der heiligen Schriften wenden. Sie leben oft asketisch, trinken keinen Alkohol, fassen keine Frau an, rauchen dafür aber ordentlich Ganja, zum Zwecke der Meditation.
Nun da saßen wir also. Die Sadhus auf der einen Seite des kleinen Raumes, wir auf der anderen.
Als Übersetzer diente ein Mitglied des indischen Militärs, der wie viele Menschen zu den Sadhus kam, um ihnen zu spenden, ihren Segen zu empfangen und zu Beten.
Während sie von sich erzählten, beobachtete ich, wie ein Sadhu die ganze Zeit lang einen Faden sponn. Er fokussierte seinen Blick auf den immer länger werdenden Faden, und wiederholte was er tat wieder und wieder. Wirkte auch auf mich sehr meditativ, nicht nur auf ihn.
Da unser deutscher Freund schon mal bei den Sadhus war, baten sie ihn, mit ihrem Guru zu telefonieren.
Der Sadhu, mit dem wir am meisten sprachen, holte sein Adressbuch heraus, was bereits einen Großteil seines Besitzes ausmachte, und wählte mit dem Handy des Militärmanns die Nummer des Gurus.
Unser deutscher Freund musste zweimal mit dem Guru sprechen, er wurde gesegnet, zweimal, und in die Residenz des Gurus eingeladen, nach Bihar.
Währenddessen präsentierte ein älterer Sadhu, der auf einmal die Bildfläche betrat, einem von uns sein Messer. Er war wohl verrückt, unsere Sadhus sagten ihm immer wieder wir seien Freunde. Aber das wollte er nicht verstehen, und so kam er immer wieder.
So langsam wollten wir dann auch wieder los, doch die Sadhus, und damit ist nicht der Alte mit dem Messer gemeint, wollten uns gar nicht mehr gehen lassen. Wir sollten unbedingt noch einen Chai mit ihnen trinken. In Kolkata trinkt man ihn aus kleinen Tongläsern, die man nach dem Trinken wegschmeißt. Der Chai war gut, obwohl ich den leichten Tonbeigeschmack immer noch gewöhnungsbedürftig finde. Zum Schluss wurden wir mit der Asche ihres kleinen Feuers gesegnet. Jeder bekam einen Strich auf die Stirn. Unsere Damen mussten das allerdings selbst machen, da die Sadhus, wie ich schon sagte, keine Frauen berühren.

Der Sadhu, der Militärmann und das Handy




Müllberge

Bedingt durch den Chai im Tongefäß waren wir etwas in Eile. Wir wollten noch vor Anbruch der Dunkelheit zur Mülldeponie Kolkatas fahren, sie liegt in der Nachbarstadt Howrah. Es war schon drei Uhr. Zwischen zwanzig nach fünf und sechs Uhr wird es überall in Indien dunkel.

Wir bestellten uns ein Taxi, dass uns zu den Müllbergen von Lilua führen sollte. Den Weg in den Stadtteil nach Lilua beobachtete ich einen kompletten Kulturwechsel. Howrah ist stark muslimisch geprägt. Man spricht dort die Sprache Urdu, die große Ähnlichkeiten zu Hindi aufweist, aber mit einer völlig anderen Schrift, einer arabisch anmutenden, geschrieben wird.
Je näher wir Lilua kamen, desto weniger hatte der Fahrer eine Ahnung wo wir eigentlich waren. Oft mussten wir aussteigen, versuchen den Menschen verstehen zu geben, dass wir zu den Müllbergen in Lilua wollten. Da eine Mülldeponie das Letzte wäre, was ich als Einheimischer von der Zunge eines Ausländers erraten würde, falls er mich nach dem Weg fragte, malten wir eine solche Deponie auf einen Zettel, daneben acht verschiedene englische Wörter für Müll aufgelistet. Doch auch damit waren wir lange Zeit erfolglos.
Vor dem Besuch dieser sicher nicht besonders schönen Müllhalde ging Gyde ein Schuh kaputt. Es war ein Birkenstock. Sie wusste, barfuß würde der Besuch einer indischen Müllhalde besonders spaßig werden. Sie suchte fieberhaft nach einem Schuster oder einem Schuhverkäufer, während der Rest von uns sich immer noch fragte wo wir eigentlich waren, der Fahrer eingeschlossen.
In gemeinschaftlicher Ahnungslosigkeit ging ich mit dem Fahrer durch dieses unbekannte Land, schüttelte ein paar Hände, hoffte, dass man uns weiterhelfen könnte.
Wir bekamen von vielen Leuten viele kleine Tipps, so konnten wir immer wieder kleine Stücke weiterfahre, um dann wieder nach dem Weg zu fragen.
Eine komische Situation war das, ich fand das Ganze irgendwie ein bisschen lustig.
Während einer unserer hundert Detektivfragepausen fand Gyde ein altes Stück Stoff auf dem Weg, der ihren Birkenstock wieder benutzbar machte.
Wir waren alle fassungslos über diesen Birkenstock, der da einfach schlapp macht.
Während der Fahrt bekam unser deutscher Freund einen Anruf seines deutschen Freundes, und reichte den Hörer unserem Taxifahrer.
Es folgte ein längeres Gespräch auf Hindi, das den Eindruck machte, als wären die beiden von einfachen Wegfragen zu einem Smalltalk übergegangen. Wir alle waren erstaunt über die Hindikenntnisse des deutschen Freundes unseres deutschen Freundes. Ich hatte ihn erst am Vorabend im Fairlawn Hotel, der Abendanlaufstelle aller unserer Abende in der Stadt, kennengelernt. Er erzählte, er könne ein bisschen Hindi, aber das was sich da gerade abspielte war ein bisschen mehr als das. Es stellte sich jedoch während des Gesprächs heraus, dass der Hörer auf der anderen Seite an einen Inder weitergegeben worden war, der jetzt Instruktionen geben sollte. Ich merkte, wie der Taxifahrer immer beleidigter wurde. Ich weiß nicht, was man ihm da sagte, aber er hielt an, wollte keine weiteren Anrufe des Muttersprachlers mehr annehmen, schaute eingeschnappt aus dem Fenster, und wollte auch nicht mehr weiterfahren. Er wollte mehr Geld. Wir handelten einen Betrag aus, nachdem wir alle zum Verhandeln ausgestiegen waren.
Ich weiß nicht wie, aber irgendwie haben wir es dann zu den Müllbergen geschafft, und was ich dort sah, finde ich noch immer schwer zu beschreiben. Direkt vor den Bergen ist eine kleine Siedlung, und das Erste, was ich sah, waren spielende Kinder. Lachende Kidner. Als sie weiterrannten, hatte ich freien Blick auf den Ort. Was ich sah, fand ich sehr traurig. Ich fand es traurig, dass dies ein Ort war, an dem manche Menschen ihre Kindheit verbringen. Es ist war ein armer Ort. Ein Ort, der einen Geruch hatte, den ich nicht erwartet hatte. Es stank nicht unbedingt nach Müll, jedenfalls nicht auf die Art wie ich es kenne. Es war ein süßlicher Gestank, und das Wasser, was durch die Rinnen im Dorf floß, war pechschwarz. Ich sah, wie Kinder auf den Bergen Müll aufsammelten, wie sie dort arbeiteten. Als wir zu ihnen hochgeklettert kamen, begrüßten sie uns freudig. Auch sie lachten. Ich bin fast in einen toten Hund getreten, fand eine Herde Wildschweine um mich versammelt, und hatte eine schwarze Flüssigkeit an den Füßen.
Währenddessen kamen Laster angefahren, mit Fuhren von neuem Müll. Als sie zum Halt kamen, sprangen sofort junge Männer auf, die den besten Müll herausschaufelten. Das, was man am Besten verkaufen konnte.








Adventskaffee

Am Sonntag gab das deutsche Konsulat einen Adventskaffee, durch dessen Einladung wir erst auf die Idee kamen, nach Kolkata zu fahren.
Als wir erzählten, dass wir extra aus Orissa für dieses Kaffeekränzchen, breitete sich ein großes Schmunzeln im Gesicht des Generalkonsuls aus. Es war wirklich eine kleine Veranstaltung, die da im Garten des Konsulats stattfand.
Es kam ein deutscher Geistlicher aus Neu-Delhi, und aus irgendeinem Grund konnte er seine Weihnachtsmusik nur über sein iPad 2 abspielen. Da man auch kein passendes Line-Kabel hatte, kam die Musik dann letztendlich über die Lautsprecher des iPads und ein Mikrofon auf die großen Boxen von Bose.

Der Kuchen war in Ordnung, erinnerte ein wenig an die Heimat, und während dem Büffet schmiss eine ältere einen an prominenter Stelle stehenden, etwas kümmerlichen Weihnachtsbaum um. Samt Glaskugeln. Es war der einzige.

Tja, das fanden die jungen Leute aus Orissa zum Schmunzeln.

Immer noch mit Magenbeschwerden kämpfend, setzte ich auf der Rückfährt meine Studie über indische Zugtoiletten fort.
Ein wahres Vergnügen.

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