Donnerstag, 15. Dezember 2011

3 Tage Bissamcuttack, 3 Tage Kalkutta, 53 Stunden Bahnfahrt: Teil 2 – Erster Tag in Kolkata und 24 Stunden Zugfahrt

Kolkata, und seine zwei Seiten



Nachdem wir drei Tage in Bissamcuttack verbrachten, und ich fünfmal das Innere unserer aller Körper bestaunte, hieß das nächste Ziel Kolkata. In Deutschland sagen wir alle Kalkutta, und in England Calcutta, und in Frankreich weiß ich nicht was, aber eigentlich heißt die Stadt eben Kolkata. Genauso wie Orissa nicht Orissa heißt, sondern Odisha. Das wurde vor 2 Monaten offiziell geändert. Viele Ortsnamen werden und wurden in Indien wieder in ihren ursprünglichen Namen geändert. Man will sich von den englischen Namen lösen. Aus Bombay wurde Mumbai, aus Madras Chennai und aus Bangalore neulich Bengaluru.

Wir hatten uns entschieden, spontan nach Kolkata zu fahren, weil wir vom deutschen Konsulat der Stadt zum Adventskaffee eingeladen waren worden, und diese Einladung eine gute Gelegenheit bot, Kolkata zu erkunden, und ordentlich Kuchen zu essen, anständigen Kaffee zu trinken, und vielleicht einen einigermaßen deutschen Weihnachtsbaum zu erblicken.
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Zu unserem Glück kam auch noch Gabriel mit auf den Trip, bei dem wir fast die gleiche Zeit in der Bahn wie in der ehemaligen Hauptstadt des ebenfalls ehemaligem British Raj verbringen sollten. Er kannte sich gut aus in der Stadt, das war echt gut.
Die Fahrt nach Kolkata sollte 24 Stunden dauern, also nahmen wir uns vor, uns vorher nochmal ordentlich mit Proviant einzudecken. Von dem Essen in der Bahn wurde uns abgeraten.
Der Plan war, den kompletten Samosa-Bestand der Krankenhauskantine aufzukaufen, wir vertrauten dem Laden. Doch als wir kamen, hatte er fast keine mehr.
Deswegen ging es nochmal ab ins Dorf und wir kauften uns ordentlich Kinley-Wasser der Coca-Cola Company, Bananen, und Kekse, von den es in Indien es in Indien eine gigantische Auswahl gibt. Sehr bekannt ist da Amul. Den Wassermarkt dominieren die Braunbrausezuckerwasserfirmen Pepsi Co. und Coca-Cola Company. Es gibt hier kaum Getränke, die nicht von denen kommen. Und das beste daran ist, dass man auf dem Land, trotz der extremen Dominanz von Coca-Cola und seinen Produkten, keine richtige Coca-Cola kriegt, sondern die indische Untermarke Thums Up. Die richtige Cola ist hier ziemlich unbeliebt, also ungefähr so beliebt wie Thums Up bei mir.
Da der Samosa-Bestand im Krankenhaus so gut wie leer war, kaufte ich noch an einem Stand im Dorf ein paar Samosas für 2 Rupien pro Stück. 3 Cent, auch hier ziemlich günstig, und dann gings ab in die Bahn.


Zwei Samosas


Die Zeit im Zug verbrachten wir mit tollen Kartenspielen, die ich fast jedes Mal verlor, (Ich bin nicht so der Kartenspieler, habe hier in Indien aber immerhin schon mal Skart gelernt (weiter so, mein Zimmerkollege!)), bis sich dann ein Bettler für eine ganz besondere Methode entschied, um unsere Aufmerksamkeit vollends zu gewinen. Wir gaben ihm zu verstehen, dass wir ihm nichts geben würden, doch das fand der Herr nicht so klasse, stellte sich einen halben Meter vor uns, und ließ Teil für Teil seine Sachen vor uns fallen. Das war gar keine schöne Situation, und eine ordentliche Provokation gegen uns. Ich wusste gar nicht wie ich reagieren sollte, als schon der Schaffner angerannt kam, und schrie: „Dja, Dja!“ („Hau ab!“). Die Sachen, die der Bettler als Drohgebärde am Boden verteilt hatte, trat der Schaffner dem Bettler genauso aggressiv hinterher.

Und als der dann verschwand, war der Schaffner sofort wieder am Lächeln, sagte: „Sorry.“, und setzte sich neben uns, als wäre gar nichts vorgefallen.
Man sagte uns hier schon oft, dass sich viele Inder eher weniger um die Gesellschaft ihres Landes kümmern, aber umso mehr um die eigene Familie. So ist es nicht sonderlich angesagt Bettlern etwas zu geben, und dementsprechend werden sie auch behandelt. Doch um das zu beurteilen bin ich noch zu kurz hier. Ich bin noch nicht mal für mich selbst zu einem Schluss gekommen, ob ich Bettlern jetzt etwas geben soll, oder nicht. Ich zweifele daran, dass es ihnen wirklich eine Hilfe ist, da viele ihr Gesammeltes wohl an Bettlermafias weitergeben müssen. Doch gerade die obdachlosen Kinder kriegen mich jedes Mal fast weich, ihnen etwas zu geben.
Für sie habe ich mir etwas überlegt. Kindern werde ich auf meiner Reise durch Indien im Februar Kekse und ähnliches verteilen, da weiß ich wenigstens, dass sie sie auch wirklich bekommen, und nicht irgendwelche bösen Erwachsenen. Aber das ist eben wirklich nur etwas. Ein paar Kekse. Besser als eine komplette Abfuhr.

Die Samosas stillten meinen Hunger auf der 24-stündigen Fahrt nach Kolkata, doch nachdem ich mich dann nachts hingelegt hatte um zu Schlafen, wurde mir dann klar, warum sie so günstig waren. Irgendwas war mit denen, mir wurde verdammt schlecht.

Und der Rest der Fahrt war dann wirklich zum Kotzen. Kein schöner Satz, aber so wars.
Indische Zugtoiletten kenne ich jetzt ziemlich gut, man kann die Gleise sehen, das ist schon eine super Sache, Gleise in Bewegung, betrachtet durch indische Hocktoiletten.

Super müde, und ich etwas matt, sind wir dann nachmittags in Howrah angekommen. Howrah liegt direkt gegenüber von Kolkata auf der anderen Seite des Hoogli, und ist ebenfalls eine Millionenstadt. Wir stiegen in ein Prepaidtaxi, die Preise für die Strecken sind vorgeschrieben, und fuhren los, über die Howrah-Bridge.
Brücken zu Fotografieren ist in Indien verboten. Sie werden hier als militärische Objekte gesehen.
Später machte ich ein paar Fotos von der Brücke, eigentlich fand ich sie gar nicht so spannend, aber in verboten macht sie natürlich was her.

Nein, nein. Das Foto ist nicht von mir.


Die Fahrt nach Kolkata gab uns einen ziemlich intensiven Vorgeschmack, auf das, was uns erwarten sollte. Direkt am Fuß der Brücke standen wir eine Viertelstunde in einem Stau, der nur aus gelben Kolkatataxen bestand. Aus dem Fenster sah ich, dass an diesem Fuß der Howrahbrücke, der es nicht gestattet war, fotografiert zu werden, Menschen in winzig kleinen Hütten wohnten und gerade am Straßenrand kochten. Das zu sehen stimmte mich verdammt traurig. Die Hütten gehörten zu den ärmlichsten, die ich in diesem Land und in meinem Leben gesehen habe, und die war mit Abstand die versmogteste, in der ich je im Stau stand.

Auf dem Weg in die Stadt machte Kolkata einen verfallenen Eindruck. Man sah, dass die Stadt einmal sehr glanzvoll gewesen sein muss. Die Prachtstadt der Briten. Und genauso sah man auch, dass diese Zeit vorbei war.
Kolkata ist weit über die Grenzen seiner Infrastruktur hinausgewachsen. Viele Straßen sind noch genauso schmal, wie sie es vor 100 Jahren waren, doch werden sie hundertmal so stark befahren und bevölkert.

Geh da mal rüber


Es gibt ein paar Hauptstraßen, die sind sehr breit, und sie zu überqueren ist sehr schwer. Halten tut niemand. Auf der anderen Seite der Straße angekommen, hatte ich einige Male das Gefühl aber gerade nochmal davon gekommen zu sein. Manchmal musste ich auf der Straße sogar wieder zurückweichen.
Die dadurch entstehenden Momente, durch bestes körpereigenes Adrenalin aufgepuscht, waren der Ersatz für den enttäuschenden Cappuccino, den ich manchmal morgens bestellte. Ich würde ihn eher Zimtkaffee mit etwas Milch nennen.

Kolkata war für Hannes, Mimi und mich die erste indische Großstadt, die wir sahen und betraten. Wir schlenderten durch Einkaufsstraßen, sahe große, schöne Buchläden, einen Bugatti, McDonalds und Modeboutiquen. Und am Straßenrand Händler, die gefälschte Pumaklamotten, Landkarten, die Biografie von Steve Jobs und indische Pornos verkauften. Verbringt ein paar Monate auf dem indischen Land, dann wisst ihr, wie wir uns fühlten, an unserem ersten Abend in unseren ersten indischen Großstadt.

Wir haben uns Hotel in einer von Touristen und Backpackern dominierten Straße gesucht, der Sudder Street. Und dort wurden wir dann auch relativ schnell fündig. 50€ für fünf Leute für drei Übernachtungen. 3€ pro Übernachtung und Nase.
Das ging klar, genauso wie das Zimmer. Mit Fernseher und indischem MTV.

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