Dienstag, 25. Oktober 2011



Erster Tag.
Mein erster richtiger Tag in Putsil war ein Sonntag. Nach dem ich in der Nacht sensationell schlecht geschlafen hatte, morgens einen Chai getrunken und zum Gottesdienst gegangen bin, bei dem Anwesenheitspflicht herrscht für jeden Putsilbewohner, war ich gleich auf mich allein gestellt, Marshal musste nach Semiliguda. Im Gottesdienst wurde ich der Gemeinde vorgestellt, ich stand vorne, und aus jedem Mund der 100 Familien ertönte zeitgleich ein „Namaskaar“. So wusste jetzt also jeder wer ich bin, und woher ich kam, nur ich kannte fast niemanden. Der einzige Name, den ich mir schnell merken konnte, war Suba. Bei Suba konnte ich jeden Tag essen, sie war meine Ansprechperson im Dorf. Ich finde es witzig, sie so zu nennen, da sie kein Englisch sprach und ich nur ein paar wenige Wörter Kuwi und sehr schlechtes Oriya, aber irgendwie haben wir uns trotzdem ein bisschen verständigen können.

Ich überlegte mir, was man wohl so macht, frisch angekommen in einer völlig neuen Umgebung. Ich beschloss, einfach mal durch das Dorf zu schlendern, jedem „Hallo“ zu sagen, und zu gucken, was die Menschen in Putsil so treiben. Weiterlesen:
Auf ein Maiswasser

Schnell wurde ich in einer Nebenstraße von einer Gruppe älterer Frauen angesprochen. „Bosso, bosso!“ sagten sie. „Setz dich“. Das tat ich dann auch, und sofort fing eine der Damen an, ordentlich auf mich einzureden. Auf Kuwi. „Hast du Hunger?“ habe ich gerade noch verstanden, danach interpretierte meine Hörzentrale alles, was sie versuchte mir zu sagen, als ein abwechslungsreiches Konzert exotischer Klänge ohne Punkt und Komma und Worte. Ich versuchte Worte und Bedeutungen zu entschlüsseln, aber das war einfach nicht möglich. Glücklicherweise erkannte die Dame meine Lage, und fügte der bis jetzt sehr einseitigen Konversation ein paar Gesten hinzu. Wir setzen ganz auf analoge Kommunikation. Die Damen waren gerade dabei, Reis und Raggi zu trocknen, und sie erzählte mir, wie die ganzen hell- und dunkelbraunen Körner auf Kuwi hießen.
Auf einmal verschwand sie kurz, und kam dann mit einem silbernen Glas wieder, indem sich ein warmer, beigefarbener Brei befand. Sie drückte es mir in die Hand, und gab mir zu verstehen, dass ich es trinken solle. Ich zögerte.
„Cook it, peel it, or forget it.“ hatte man mir vor meiner Reise in Deutschland eingeflößt. „Trinkt bloß nicht das indische Wasser!“. Wasser war das schon mal nicht, und weil es warm war, ordnete ich den Brei der Kategorie „cooked/boiled“ ein.
Ich nahm einen Schluck, und schmeckte, dass es eine Art Maiswasser war. Schmeckte gut. Während ich trank, mussten die Damen etwas schmunzeln, denn ich trank mal wieder falsch. In Indien sollte man möglichst so trinken, dass man mit dem Mund nicht das Gefäß berührt. So kann man mit jedem teilen, ohne sich große Sorgen über Hygiene machen zu müssen. Doch das muss erst mal gelernt sein.
Ich übe das mittlerweile beim Zähneputzen, doch so richtig kann ich das immer noch nicht.
Ein ganzes Glas wollte ich davon an meinem ersten Tag im Dorf noch nicht trinken. Nach drei, vier Schlucken gab ich das Glas der Frau zurück, sagte nett „Dhonyobad!“ („Danke!“), verbeugte mich und setzte meinen Gang durch das Dorf fort.


Dieses Maiswasser habe ich in der Woche noch mehrmals getrunken. Einmal überkam mich der Ehrgeiz, es doch mal indisch zu trinken. Ich kippte lässig meinen Kopf nach hinten, den Mund weitgeöffnet. Doch mein Mund blieb trocken, ich wunderte mich, bis ich dann, höchst erfreut merkte, dass sich der Maisbrei auf meiner Hose ausbreitete.
Jetzt hatte ich dasselbe Problem, wie der Typ aus „Eine unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug“. Ich konnte nicht trinken.
Zum Glück war niemand im Raum, der diesem peinlichen Schauspiel beiwohnen konnte; zum Glück hatte ich Tücher zum Trocknen dabei; zum Glück bestand meine Hose aus dem legendären genialem G1000-Superstoff, war also schnelltrocknend, und ließ so die lustigen Flecken, die sich wegen meines Schneidersitzes hauptsächlich auf Schrittbereich und Oberschenkel konzentrierten, schnell wieder vergessen. 

Der weiße Frederick, Buhmann.

Ich ging also weiter und beobachtete am Dorfrand, wie ein paar Kinder Autorennen spielten. Dazu hatten sie sich in der Erde eine Rennstrecke eingeritzt und haben die Spielzeugautos, mit Bindfaden an einen Stock gebunden drüber weg rasen lassen.
Wenn ich als kleines Kind mal an der Nordsee war, habe ich das auch immer gerne gespielt, und dachte ich mir, versuche ich doch mal mitzuspielen.
Ich ging langsam näher, und als die Kinder mich sahen, schnappte sich ein kleiner Junge schnell alle Autos und lief erschrocken davon. Hier in Putsil bekam ich eine neue Identität. Ich war der große, weiße Buhmann. Nach dieser ersten Begegnung mit jungen Putsilkindern war ich wirklich traurig. Es ist kein schönes Gefühl, wenn man ein Fremder ist, die Leute kennenlernen will, und alle vor einem weglaufen. Ich überlegte mir, was ich machen könnte, damit die Kinder nicht gleich die Flucht vor mir als weißem Buhmann ergreifen würden.


Während ich also etwas niedergeschlagen im Community Center rumlungerte, sah ich die große Cadbury-Karamellbonbon-Dose, die ich extra für das Dorf gekauft hatte. Ich nahm mir erst mal selbst ein Bonbon und beschloss beim Genießen dieser britischen Wohltat für meine Zähne nur noch bewaffnet aus dem Center zu gehen. Bewaffnet mit Karamellbonbons. Und mit den Tagen merkte ich, es war eine gute Entscheidung. Cadbury eignet sich wunderbar zum Schmieren von Putsilbewohnern mit Körpergröße von 1,30 m. Und so fingen die Kinder an, mir morgens „Namasskaar“ zuzurufen und zurückzulächeln, wenn ich sie anlächelte. Für indische Kinder ist das schon verdammt viel. Sie sind sehr, sehr schüchterne Zeitgenossen.
Der Buhmann fing aber nach einigen Tagen an, die Cadburyverteilungsaktion stark herunterzufahren, da die Kinder das goldene Plastikpapier einfach auf die Wege des sonst sehr sauberen Putsils warfen, und er nicht der Grund für die Verschmutzung seiner 7-Tage-Heimat sein wollte.

Bessi Uli / Eine Menge Knoblauch

Nachdem ich den Korb der Kinder verkraftet hatte, rappelte ich mich wieder auf, und schmiss mich ins Putsiler Dorfleben. Suba war gerade dabei, Knoblauchzehen aufzutrennen. Da dachte ich mir, mache ich doch mal mit. Ich fragte über meine bewährte Gestenkommunikation, ob ich nicht helfen könne, und Suba reichte mir ein paar Knollen. Und so fing ich an, beim Puhlen eines gigantischen Haufens Knoblauchs mitzuhelfen. Nach und nach gesellten sich einige Mädchen dazu, puhlten mit und brachten mir ein paar Kuwiwörter bei. Knoblauch heißt „Uli“. Damit verbrachten wir den ganzen Nachmittag, und ich fragte mich, was Suba mit dieser gigantischen Ansammlung von Knoblauch wohl anstellen wollte.


Als unerfahrener Knoblauchzehenauftrenner war ich nicht nur bedeutend langsamer als die Damen um mich herum, sondern legte dabei auch eine fatal ungesunde Technik an den Tag. Ich wollte mit den anderen mithalten und öffnete den Knoblauch mit den Fingernägeln. Einmal machte ich das etwas zu beherzt, stach mit dem Daumen in eine Zehe, und der fing dann gleich an wunderbar zu brennen und ein bisschen zu bluten, wunderbar riechend nach dem Unheil eines jeden Vampirs.
Mir war das peinlich als deutscher Stadtjunge bei einer solch einfachen Arbeit zu versagen, und vertuschte das schnell, machte mit der rechten Hand und optimierter Technik weiter. Doch die Dorfdamen sahen alles, und nach einer Zeit fragten sie mich, ob ich denn Schmerzen hätte, was ich selbstverständlich verneinte. Nachdem ich aufgehört hatte den Daumen zu benutzen, ging das auch wieder, aber die Damen waren da anderer Meinung, und von da an, aufgrund eines leicht blutenden Daumes, reichte mir ein Mädchen, Onguli hieß sie, öfters mal leicht vorgeschälte Knollen rüber, damit auch der Deutsche aus Zucker sie öffnen konnte.

Die Menschen in Putsil waren immer sehr darauf bedacht, dass sich dem deutschen Gast kein einziges Haar krümmt während seines Aufenthalts, und waren am Ende sehr stolz, dass er die Woche heile überstanden hatte. „Bei uns sollst du nicht krank werden.“

Es machte mir Spaß, den halben Tag mit Knoblauch zu verbringen. Wir hatten unseren Spaß dabei, und das ganze Dorf für uns. Tagsüber ist Putsil immer ziemlich leer, weil seine Bewohner, auf die Felder gehen, um zu Arbeiten. Jeder in Putsil verdient sein Geld mit Landwirtschaft, bis auf eine Familie, die einen kleinen Kiosk führt.

Später ist auch Marshal zum Knoblauchpuhlen dazu gestoßen, als er wieder zurück war aus Semiliguda.

3 Kommentare:

  1. Hallo Freddy,

    au Mann, und ich klecker schon, wenn das Glas den Mund berührt ;-) Du machst das schon!

    Und ich bin echt verliebt in das Bild mit den zwei Kindern, das ist einfach großartig!

    Ganz liebe Grüße aus dem herbstlichen Hamburg,
    Nic.

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  2. P.S. Haste dat schon gesehen: http://www.lokale-wochenzeitungen.de/index.php?id=469&tx_ttnews[pointer]=4&tx_ttnews[tt_news]=163153&tx_ttnews[backPid]=1347&cHash=c5164fccd7

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  3. Hey,
    ich seh schon die Schlagzeilen vor mir: Deutscher besticht Inder mit Karamelbonbons...
    Die Trinktechnik aus "Eine unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug" versuche ich mir gerade bildlich vorzustellen... ;) Aber ist bestimmt echt gar nicht so einfach - muss ich in einem unbeobachteten Moment auch mal ausprobieren...

    P.S: Super genialer Blog-Eintrag!!!

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