Samstag, 24. September 2011

Vom Teekampftrinken, Guerillas und Beamtenportemonnaies


Bei einem von inzwischen zahlreichen Dorfbesuchen der letzten Zeit erstreckte sich unser Aufenthalt bis zur Dämmerung. Sunanda und den Fahrer machte das sehr unruhig. Das merkte man richtig. Die Bewohner des Dorfs boten uns noch Tee an, der wurde schnell runtergekippt, und dann hieß es auf einmal im Laufschritt ab zum Auto.
Als ich Sunanda fragte, warum wir uns so beeilen müssten, hieß die Antwort nur: „Hurry up, Hurry up, I tell you in the car..“
Als wir dann unseren Mahindra Bolero mit ohne Anschnallgurt abgehetzt erreichten, erklärte Sunanda uns den Grund für die ganze Eile.

In manche Dörfer hier in der Gegend kommen abends, zur Zeit der Dämmerung, Maoisten.
Die Maoisten, andere Bezeichnung Naxaliten, sind eine militante, guerilla-ähnliche Gruppierung. Sie versuchen mit Gewalt den indischen Staat zu „revolutionieren“ (wie sie es sicher sagen würden). Und zwar nach ihrer Interpretation der Thesen Maos.
Ihr Hauptanliegen ist es, die Armen der ländlichen Gegenden zu stärken und sich für sie einzusetzen. Deswegen gehen sie in die Dörfer, um mit den Menschen aktuelle Anliegen zu diskutieren.
Für uns sind Begegnungen mit Maoisten deswegen unangenehm, weil sie dann versuchen alles über einen herauszufinden, und einen, wenn man denn ungünstige Antworten gegeben hat, auch gerne verfolgen.
IRDWSI genießt einen sehr guten Ruf in der Gegend, gerade bei der Dorfbevölkerung.
Die Organisation arbeitet mit Dörfern zusammen, von denen der Staat im Vorfeld gar nicht wusste, dass sie existieren.
Deswegen ist es unwahrscheinlich, dass wir Probleme mit dieser guerilla-artigen Vereinigung bekommen, aber da sollte man lieber jedes Risiko vermeiden.
Wenn sie nämlich den Eindruck gewinnen, dass man irgendwie von der Regierung kommt, hat man sehr schlechte Karten.
Lehrer, die ihnen nicht gefallen, verschwinden mal für eine Woche im Wald. Regierungsautos kriegen es mit Landminen zu tun.

Der Hass auf die Regierung ist groß in den ländlichen Gegenden Indiens, was den Maoisten eine ausgezeichnete Rekrutierungsgrundlage bietet.
Das Problem, das Indiens Regierung hat, ist die Korruption. Eigentlich bietet sie den ländlichen Gegenden viele Subventionen. Das Problem dabei ist, dass davon nur 20% ankommen, der Rest versickert in Beamtenportemonnaies.
Das macht sauer. Richtig sauer. Und agressiv. Da greift ein Maoist gerne zur Axt.
Hier in der Gegend gibt es eine Schule. Auch sie erhielt staatliche Subventionen.
Zu seinem eigenen Unglück steckte sich der für die Verteilung zuständige Collector einen nicht unerheblichen Teil in sein Beamtenportemonnaie. Mit der Konsequenz: Kopf ab.
Und damit das niemand nochmal macht, ließen die Maoisten seinen Kopf auf der Straße vor der Schule liegen.
Nach dem Mordanschlag gingen die Korruptionsfälle in der Gegend drastisch zurück. Gut für die Bevölkerung.

Doch es bleibt die Frage offen, ob der Mensch wirklich so primitiv ist, dass es keinen anderen Weg zur Lösung gibt, als Kopf ab. Ahimsa scheint die Maoisten nicht sonderlich zu begeistern.

Ein anderes Mal tötete ein Maoist einen auch bei IRDWSI angesehenen Beamten, weil der den Bauarbeiten für sein Haus zu wenig Geld gegeben hätte.
Vor der Baustelle seines Hauses steht heute ein Denkmal. Die Tat verstand niemand. Auch nicht die Bauarbeiter.

Gegen die Korruption kämpft zur Zeit auch ein älterer Herr. Auf friedliche Art. Auf nationaler Ebene. Sein Name ist Anna Hazare.

Er hat ein neues Gesetz entworfen. Die Jan Lokpal Bill.
Sie stellt Korruption unter harte Strafen. Nachdem er 16 Tage dafür hungerte, wurde das Gesetz akzeptiert. Allerdings mit dem Einwand, dass der Premierminister davon befreit bleibt.

Es ist amüsant, dass eine Regierung Probleme damit hat, sein Oberhaupt unter ein Gesetz gegen Korruption zu stellen.

Anna Hazare sorgt sich, dass man mit dieser Ausnahme wieder schnell alte Verhältnisse herstellen kann: Herr A. versteht sich blendend mit dem Premier, und kann sich deswegen erlauben für die Ehefrau ein bisschen Steuergelder zu sparen. Herr B., der unter A. arbeitet, ist A.s bester Freund, und hätte so gerne einen größeren Fernseher, Frau C. kann den Wunsch ihres Kollegen nur unterstützen, und am Ende hat man wieder den korrupten Schulbeamten mit Geldbörse in Extragröße.


Die Verbreitung der Maoisten in Indien

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