Montag, 19. September 2011

„Ask me about being famous.“

Ein Augentest

Der "Ask me about being famous"-Junge


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Die Grenze zweier Kulturkreise
Donnerstag und Freitag sind wir mit Sunanda, einer jungen Ärztin, in die Tribaldörfer gefahren. Sunanda katalogisiert dort die Krankheiten der Dorfbewohner, mit dem Ziel zusammen mit IRDWSI im Januar ein Rehabilitationszentrum für diese Menschen zu errichten, die sonst keine medizinische Hilfe bezahlen könnten.
Gleich im ersten Dorf freuten sich die Menschen sehr über das Ankommen unseres Jeeps. Nachdem uns erstmal eine Kuhherde samt Hirte kreuzte, stürmten alle Dorfbewohner von 150 Zentimetern Körpergröße und vor Vollendung des 13. Lebensjahres auf uns zu.
Sie lachten und posierten mit größter Hingabe vor meiner Kamera. Nach vielen Verbeugungen und einigem Händeschütteln ging es dann in Richtung Hauptplatz des Dorfes.
Den unglaublichen Kontrast zu Deutschland realisierte ich vollends, als ich eine Kindergruppe beobachtete, dessen Teil ein kleiner Junge war.
Er musste wohl ein bisschen, zog die Hose herunter, und pinkelte einfach auf die Straße.
Das würde ein deutsches Kind vielleicht auch machen. Dieser kleinen Erleichterung würde allerdings ein cholerischer Anfall seiner Frau Mutter folgen. Auf dem indischen Dorf fand der kleine dafür keinerlei Beachtung.
Man sieht in den Dörfern oft Plakate von UNICEF, auf denen einfache Hygieneroutinen wie Händewaschen abgedruckt sind.
Die NGOs versuchen damit die Wichtigkeit von Hygiene in den Alltag der Menschen zu rücken.

Am Dorfplatz angekommen, ging die Aufnahme der Krankheiten los. Um Gastfreundschaft zu beweisen, gab man uns eine Decke zum Sitzen. Als wir uns setzten waren wir im wahrsten Sinne des Wortes umzingelt, und wir weißen Europäer wurden angeglotzt und glotzten zurück. Die meisten Menschen hatten keine Probleme ihre Leiden preiszugeben, wenn jemand schüchtern war, oder zu krank, um selbst zu sprechen, wurde ihm von den anderen geholfen.
Bis auf zwei Ausnahmen, waren die Krankheiten der Menschen sehr verschieden. In den fünf Dörfern, die wir besuchten, sahen wir Menschen mit Parkinson, deformierten Körperteilen und verschiedenen Lähmungserscheinen. Viele Menschen erfuhren bis jetzt kaum eine Behandlung. Theoretisch steht ihnen eine Rente zu. Diese umfasst sagenhafte 200 Rupien. Das sind 2,50€ und damit kommt man auch nicht in Indien für einen Monat aus.

Worunter die meisten Menschen litten waren Erblindungen und schwere Hörschäden.
 Fast alle Fälle lassen sich auf eine Ursache zurückführen. Wie so gut wie alle Menschen auf der Welt, benutzen auch die Menschen in Orissas Dörfern Salz zum Würzen ihrer Mahlzeiten. Sie benutzen sogar frisches Salz aus den Bergen.
Genau da liegt die schlimme Falle, in die die Bewohner der Dörfer zwangsweise tappen werden.
Das unbehandelte Bergsalz führt auf Dauer zu den Hörschäden und Erblindungen, die fast alle älteren Menschen in den Dörfern plagen.
Selbst Salz ist ein Gut, dass sich die Menschen auf den Dörfern oft nicht leisten können.
In derartige Zustände kann ich als Deutscher nicht hineinversetzen. Mit meinen 100 Euro Taschengeld pro Monat könnte ich in Salz baden gehen.
Endgültig verwirrt war ich, als Sunanda mich auf dem Weg fragte: „Have you got villages like these in Germany too?“ Und meine Antwort dann nur war: No, no, no... no. Absolutly not.“

Das einzige was wir da haben sind Trecker, Kühe, ein paar Felder, Bier und Salz.

Ein Mitglied der Erwachsenengeneration von 2030 (ein kleiner Junge) trug ein Shirt mit dem fetzigem Aufdruck: „Ask me about being famous.“
Ich denke darüber nach, was er wohl sagt, wenn man ihm den Reichtum der Leute, die sich famous nennen und genannt werden, zeigen würde.
Wenn man ihn wirklich fragen würde, wie er es findet, dass Artgenossen in Übersee und teilweise in seinem eigenen Land, viele viele Geldscheine für Taschen hinlegen, auf denen hunderte Male auf braunem Grund die Initialen eines schon längst verstorbenen Franzosen stehen, der seinen Namen wohl sehr schätzte und dies kundtun musste, und er sich noch nicht mal Salz leisten kann.

Viele Europäer, Stadt-Inder und allgemein westlich geprägte Menschen sagen nach längeren, aber doch zeitlich klar begrenzten Dorfbesuchen, das Leben dort sei magisch, urig, pur, und eine echte Lebenserfahrung. In ein paar Wochen werde ich selbst ein solcher Besucher aus Europa sein. Ich bin gespannt, ob ich das dann auch so empfinde. Momentan bin noch sehr skeptisch, ob das Leben dort wirklich so magisch und urig ist.
Momentan sehe ich fast nur die Dinge, die ihnen fehlen. Strom, sauberes Wasser, Bildung. Ich bin gespannt, ob sich mein Fokus in einem Monat verschiebt, und ich spüren kann, was die Menschen dort haben.
Wenn, dann wird es etwas sein, dass ich bis dahin nicht kannte.

Was der „Ask me about being famous.“-Junge wohl nach deutsch-schweigsamer U-Bahn-Fahrt und anschließender Stadtbesichtigung bei einer Currywurst über Berlin denken würde?
"Pure Lebenserfahrung"? Wer weiß. Vielleicht.
Irgendwie sind die Menschen immer vom Gegenteil dessen fasziniert, was innerhalb ihrer Reichweite liegt.

Vielleicht wird der Junge auch später mal die Stimme des stark benachteiligten ländlichen Indiens, die dem Land fehlt, und „Ask me about being famous“ der Slogan einer seiner großen Kampagnen.
Es hat mich wirklich umgehauen, dass der kleine Mann dieses Shirt anhatte. Ziemlich makaber, der Spruch.
Die Menschen hier müssen Kraft entwickeln, gehört zu werden. Und daran arbeitet meine Organisation "Integrated Rural Development Of Weaker Sections In India"
Das scheint Indien wirklich zu gebrauchen. Sonst wird es weiterhin über den Großteil seiner Bevölkerung hinweg entscheiden.

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