Mittwoch, 30. Mai 2012

UNDERSTANDING BETWEEN BOYS AND GIRLS



In Jeypore, in der Stadt, die mal Sitz eines Maharajas war, haben wir einen Diskussionstag über das Verstehen zwischen Jungs und Mädchen in der Kirche veranstaltet. Understanding between girls and boys. Das ist hier in Indien ein großes Thema. Es ist ganz und gar nicht normal mit einem Mädchen durch die Straßen zu ziehen, Händchen zu halten, oder sich gar zu umarmen. Unter den Christen ist Sex vor der Ehe eine Sünde und die Hindus machen sowas auch nicht. Die meisten Hochzeiten sind arrangiert. Die Meinung der Eltern zählt bei der Hochzeit.


Hinter den Hochzeiten in Indien steckt ein anderes Konzept, als bei den Hochzeiten in Deutschland. Es geht darum Familien zusammenzuführen, und nicht darum, eine große Liebe zu festigen.
Das Grundkonzept der Familie ist verschieden. In Indien denkt man, wenn man über die Familie spricht, nicht nur an Bruder-Schwester-Opa-Mama-Papa-Oma, sondern auch an Tanten und Onkel dritten Grades, und die angeheirateten Familienmitglieder. Große Familien. Und mit einer Heirat werden solch große Familien verbunden, deshalb ist es wichtig, dass zwischen den Familien alles stimmt. Und das würden die Eltern am Besten wissen.

Und darauf haben viele Jugendliche, nach dem was ich erlebt habe, keinen Bock mehr.  Sie wollen selbst entscheiden, wen sie heiraten.
Einen festen Freund oder eine Freundin zu haben ist hier nichts Gewöhnliches, besonders nicht auf dem Land. Doch ganz selten sind sie auch nicht, die indischen Lovers. Sie geben sich geheimnisvoll. Die meisten, die eine Beziehung führen, haben unwissende Eltern. Die wissen nichts davon. Sie treffen sich anscheinend gerne in Parks, diese Lovers. Als wir in Delhi waren, sind wir ohne Vorahnung in einen Rosengarten spaziert, und der war voll von Lovers. Hinter jedem zweiten Baum konnte man sie erspähen. Die Angelegenheit scheint in Indien eine spannende zu sein. In Varanasi gab es ein Uni-Café, und eine Studentin erklärte mir, da würden nur diese Lovers hingehen, und das wäre ziemlich eklig.
Seit den 2000ern gibt es in Bollywoodfilmen offene Kuss-Szenen. Vorher wurde das verblumt. Es gibt hier einen alten Witz. "Wir verstehen euch Westliche nicht. In euren Filmen sieht man alles, und trotzdem habt ihr so wenig Kinder. Hier wird nichts davon gezeigt, und trotzdem haben wir so viele Kinder." Diese Zeiten gehen wohl langsam zu Ende. Liebespaar-Filme gibt es hier mittlerweile viele. Und die Bollywoodsternchen sorgen für 1A-Klatschgeschichten. "Seitdem ich fünfzehn war, hatte ich schon immer einen Freund." Oder "Ich war schon immer ein bisschen naughty."

Auf der anderen Seite gibt es viele Leute, die an ihren Traditionen festhalten wollen. Für Hindus gibt es Seiten wie shaadi.com (heißt auf Hindi "Hochzeit"), bei denen man selber eine Braut oder einen Mann suchen kann, oder die Eltern einen Partner suchen können. Das kann man einstellen. Genauso wie man nach bestimmten Kasten, Berufen, Wohnorten, und Einkommensniveaus suchen kann. Ein junger Mann hat mir erklärt, er wolle gar nichts von Love Marriages wissen, oder sie verstehen. Er wolle so leben wie Adam und Eva zusammen, so wie Gott es wolle, und nicht nach seinen Gefühlen. Er wäre auch schonmal verliebt gewesen, doch dem sei er nicht nachgegangen. Ein anderer Herr, der schon lange verheiratet ist, erzählte mir, wie er es mit den arrangierten Hochzeiten sieht. Seine Eltern hätten am Besten gewusst, wer zu ihm passt, und vor allen Dingen, welche Familien zueinander passen würden. Außerdem hätten seine Eltern ihn ja schließlich geschaffen, da konnten sie auch entscheiden, wen er heiratet. Und er durfte die Braut vor seiner Hochzeit zusammen mit seinen Freunden anschauen.
Als wir im Zug nach Varanasi saßen, trafen wir einen jungen Mann, der kurz vor seiner Verlobung stand. Er war total aufgeregt. Spielte die ganze Zeit Tabla auf seinen Oberschenkeln. Er zeigte mir ein Foto seiner zukünftigen arrangierten Braut auf seinem Handy. Wir fanden beide, die sah gut aus, die Dame. Und ich hatte das Gefühl, jetzt weiß ich genauso viel über sie, wie er.
Ein guter Freund erzählte, er wolle arrangiert heiraten, er vertraue seiner Mutter da voll und ganz. Arrangierte Hochzeiten gibt es in Indien sowohl unter den Hindus, als auch unter Christen. Wie die Muslimen die Angelegenheit hier handhaben, weiß ich nicht.

Hochzeiten in Indien sind eine große, große Sache. Sie werden groß angekündigt. Es wird dafür bezahlt, dass die eigene Hochzeit im Fernsehen gezeigt wird.
Es gibt riesige, tagelange Feiern, oder lebenslange Dramen.

In Jeypore war ich auf einer Hochzeit zwischen einer Hindufrau, und einem Christen. Eine Liebeshochzeit. Mit Kamerateam. Er bekam den Segen seiner Familie, sie den Segen ihrer Familie nicht. Sie wird ihn nie ihrer Familie präsentieren dürfen. Ihre Familie erschien nicht zur Hochzeit.
Neulich ist hier in der Gegend ein Mädchen weggelaufen, zwei Tage vor ihrer arrangierten Hochzeit. Anscheinend ist sie mit ihrem Liebhaber durchgebrannt. Auf und davon in eine Großstadt.

Love und Arranged Marriages waren ein Thema in unserem "Understanding between boys and girls"-Programm.
Es fand in der größten Kirche Jeypores statt, und wurde in ihrem Namen organisiert.
Das machte uns einen Abend vor dem Programm nochmal richtig Probleme.
Uns fiel auf, dass es ganz schön krass werden könnte, wenn wir in der Kirche über voreheliche Beziehungen diskutieren lassen würden. Für viele indische Christen im Koraput District sind Beziehungen vor der Ehe eine große Sünde. Diese Lovers. Und für noch mehr indische Christen im Koraput District ist Sex vor der Ehe eine große Sünde. Auf unserem Programm war eine Diskussion über diese Lovers. Und erst an diesem Abend sprachen wir darüber, dass das problematisch werden könnte. Über Lovers in Jeypores größter Kirche zu diskutieren. Das wäre problematisch mit den ganzen Mamas und Papas und Pastoren und Omas geworden. Doch das gehört dazu, wenn man weiterkommen will.
Das eigentliche Problem lag darin, dass sich die Jugendlichen dem Programm nicht öffnen würden, würden wir sie direkt mit den ganzen sündlichen Dingen konfrontieren. Wenn wir ein Programm veranstalten würden, was nicht im Einklang mit diversen Interpretationen der Texte der Bibel stehen würde, dann würden uns die Jugendlichen nicht zuhören.
Kirche, Bibel und das ganze Christentum haben für die indischen Christen einen anderen Stellenwert als für Christen in Deutschland.
In Indien sind sie eine Minderheit. 2008 gab eine blutige Ausschreitungen zwischen Christen und Hindus.
In Jeypore.
Wenn man Teil einer Minderheit ist, dann identifiziert man sich mit etwas Besonderem. Einer besonderen Gruppe unter vielen. Wenn man dafür angegriffen wird, dann bindet einen das vielleicht noch stärker an seine Gruppe. Die jugendlichen Christen in Jeypore sind stolz auf ihre Religion. Teilweise präsentieren sie ihren Stolz auf ihre Religion so, wie eine Motorradgang ihren stolz auf ihre Gang zeigen würde. Sie haben Plaketten auf ihren Motorräden wie "Jesus Saves You". Sie verlinken einen auf Jesus-Bildern bei Facebook. Sie kommen vorbei und schenken einem die Bibel in weiß.
In Semiliguda gab es im April ein christliches Festival mit einer Lautstärke die unseren Developed-Country-Festivals in nichts nachsteht. Über tausend Leute waren am Start. Die ersten Reihen haben sich die Jugendlichen klargemacht. Platz zum Tanzen zu Hallelujah, Praise the Lord und Hossanna gemacht. Da wurden auch Wunder vollbracht. Taube kamen auf die Bühne und dank der enormen Lautstärke des Wortes und der Hand des Reverends konnten sie wieder hören.
Und im letzten November kam ein ehemaliger Bollywoodsänger nach Koraput. Er singt jetzt Gospels. Jesus Jesus Yeah Jesus.

Wir konnten in unserem Youth Discussion Programme nicht einfach sagen: "Los, geht sünden." Wir konnten nichts sagen, was vollkommen gegen die Predigten der Jeypore Kirche spricht. Sex vor der Ehe ist eine Sünde.
In einem Gespräch bis morgens um zwei fanden wir heraus, dass wir eigentlich gar nichts dagegen sagen wollten. Wir dachten etwas dagegen. Etwas sagen lassen wollten wir die Jugendlichen. Was sie sagen wollten, sollten sie sagen können. Es wurde Rat beim Pastor gesucht, was man machen könne, falls manche Jugendliche gegen die aktuelle Interpretation der Bibel argumentieren und manche dafür. Der Pastor entschied sich dazu, am Youth-Discussion-Programme-Tag eine Geschichte über Sünder in zwei Teilen zu erzählen. In der Halbzeit wurde uns der erste Teil der Geschichte übersetzt. Der Pastor erzählte sie in Oriya.



Sie ging um einen Geier und einen Metzger. Der Metzger brachte jeden Tag eine Schubkarre Fleisch zu seinem Laden. Der Geier folgte den Metzger jeden Tag. Eines Tages sagte der Geier: "Ich will dein Fleisch." "Kein Problem.", sagte der Metzger. "Ich gebe dir ein Stück Fleisch, dafür musst du mir eine deiner Federn geben." "Kein Problem. Federn habe ich viele.",  sagte der Geier. Und so kam er jeden Tag. Er bekam ein Stück Fleisch, und gab eine Feder. Er war glücklich damit. Doch nach einiger Zeit konnte er nicht mehr so gut fliegen. Er hatte kaum noch Federn. Und eines Tages hatte er gar keine mehr. Von nun an war er ein Geier, der nicht mehr fliegen konnte. Er war ein nackter Geier, kahl und rosa. 


Aus dieser Geschichte zog der Pastor, dass einen seine Sünden irgendwann einholen und man seine Strafe spüren wird.

Ein toller Start für das Youth Discussion Programme. Schön einschüchternd. Und danach wurde noch gemeinsam Gebet und Kirchenlieder gesungen. Ich war sehr aufgeregt. Ich war mir nicht mehr sicher, ob wir an solch einem Ort über sehr sensible Themen diskutieren konnten.
Als die älteren Leute dann gegangen waren, konnten wir anfangen.
Meine Gruppe (es gab vier) solllte über die verschiedenen Beziehungen zwischen Jungs und Mädchen diskutieren. Die Gruppe war gemischt. Das bedeutete, unsere Sitzung fing mit Anschweigen an. Klasse. Das hatte ich mir schon gedacht, deswegen wollte ich die Gruppe in viele kleine Gesprächsrunden aufteilen. Man sagte mir, das sei nicht von Nöten. Man könnte gemeinsam mit allen ein sehr vertrauliches Gespräch führen. Das Anschweigen ging weiter. Letztendlich entschieden Nanu (der mit mir zusammen moderierte) und ich, die Gruppe in Jungs und Mädchen aufzuteilen. Getrennt saßen sie eh schon. Konzentrieren wollten wir uns erstmal auf eine Beziehungsart. Auf die Beziehung zwischen Bruder und Schwester. Die Jungs sollten sich darauf einigen, was eine gute Schwester ausmacht, und die Mädchen sollten überlegen, was einen Bruder ausmacht. Danach wurden die Zettel wie ein guter Bruder sein sollte, und wie eine gute Schwester sein sollte, ausgetauscht. Die Jungs laßen den Zettel der Mädchen, die Mädchen den der Jungs.

Bruder-Schwester Diskussion

Das Anschweigen war vorbei. Nach dem Zettel der Mädchen sollte ein Bruder liebevoll sein und sich um seine Schwester kümmern. Er sollte in der Lage sein, ein Familienoberhaupt werden zu können. Nach dem Zettel der Jungs sollte eine Schwester  keine knappen Kleider tragen und nicht ohne Erlaubnis zu Fremden gehen. Da hatten wir schon den ersten Streitpunkt. Die Mädchen fanden, die Jungs würden nur schlechte Dinge über sie aufschreiben, und Arten, wie eine Schwester nicht sein sollte. Darüber wurde dann gestritten. Die Mädchen warfen den Jungs vor, sie würden zuviel Alkohol trinken und nachts durch die Straßen ziehen. Die Jungs meinten, Mädchen sollten keine knappen Kleider tragen. Zu ihrem eigenen Schutz. Damit würden sie schlechte Jungs anregen und ihnen könnte etwas passieren. Das störte die Mädchen. Jungs würden auch anzüglich rumlaufen. Bei ihnen würde niemand etwas sagen, wenn sie sich westlich kleiden. Nur bei den Mädchen. Die Diskussion wurde so intensiv, dass die Gruppe bereit war, auf die Mittagspause zu verzichten und weiter zu diskutieren. Das ist hier sehr unüblich. Auf die Mittagspause verzichten. Zu einer Lösung der Probleme, die sie miteinander hatten, kamen sie nicht. Das hatte ich auch nicht erwartet. Mein primäres Ziel war es, dass sie aufhören, sich anzuschweigen und sagen, was sie sagen wollten. Sie sollten sich ein bisschen provozieren. Das haben sie auch gemacht. Und dabei sind sie sich nähergekommen. Ein Junge meinte nach der Diskussion, er würde seine Schwester sehr gerne umarmen wollen, sie sollten mit ihren Streitereien aufhören. Das sei allerdings schwer. 

Love/Arranged Marriage Diskussion

Nach den Diskussionen, erzählten alle Gruppen, was sie besprochen hatten, und darüber wurde dann nochmal mit allen diskutiert. Besonders bei der Gruppe "Love and Arranged Marriage". Da haben sich zwei große Lager gebildet. Manch einer sagte, dass man nur bei einer arrangierten Hochzeit garantieren könne, dass die Familien zusammenpassen. Ein anderer fragte darauf: "Und wer kann mir garantieren, dass meine Frau zu mir passt?"





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